Warum tut Abschiednehmen manchmal so weh?
Warum kann man nicht einfach verstehen, loslassen und dann wie gewohnt weitermachen?
Was bedeutet es für mich, wenn ich den Schmerz des Abschieds durchlebe?
Verändert er mich?
Schadet er mir?
Kann es auch gut tun?
Bitte geh nicht!
Dem Wunsch nach Verweilen und an dem Schönen, Vertrauten oder Liebgewonnenen festzuhalten bin ich schon oft begegnet. Es ist ein rein subjektives Bedürfnis nach Konservieren. Facettenreich ist es trotz seines immer gleich bleibenden Ziels. Denn mal sind es Personen und mal Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnisse, Bedürfnisse, Gefühle, Wahrnehmungen, die sich scheinbar ohne mein Wollen von mir lösen und diesen Zustand in mir auslösen können.
Sind Abschiede endgültig?
Abschiede sind noch nie so mein Ding gewesen. Sie haben für mich häufig etwas von Endgültigkeit und ich fühle mich oft machtlos mit meinem Abschiedsschmerz und der damit verbundenen Sehnsucht nach dem Mehr, das mir scheinbar verwehrt bleibt. Endgültigkeit im ersten Moment!
Sicher gibt es auch die Abschiede, die mir im Nachhinein gezeigt haben, wie wichtig sie für mich waren, welche neuen Wege sich durch den Abschied für mich ergeben haben. Diese Erkenntnis lässt mich bei jedem erneuten Abschiedsschmerz hoffen, dass es doch (wieder) gut wird, dass es vielleicht von Anfang an gut ist. Das macht den Moment des Schmerzes und die Angst vor Verlust doch erträglicher und nicht mehr ganz so hoffnungslos. Doch dazu gehört viel Mut und Disziplin. Beides fehlt mir so manches Mal, wenn ich in Situationen stecke, in denen scheinbar nichts anderes mehr eine Rolle spielt als der Abschiedsschmerz, der mich einzunehmen und zu überrollen droht. Da dann selbstbestimmt wieder herauszukommen ist nicht immer so leicht.
Loslassen
Noch so ein magisches Wort, das ich mir seit einiger Zeit zum Lebensmotto versuche zu machen – loslassen. Die Betonung liegt auf „versuchen“, denn so leicht ist das gar nicht. Das Leben hält so einiges für uns bereit, das es uns schwer macht, alles leicht und locker zu nehmen. Die Frage ist ja auch, ob das tatsächlich mit „loslassen“ gemeint ist. Oder geht es nicht vielmehr um ein Innehalten und Betrachten dessen, von dem ich mich nicht zu lösen vermag und schließlich um ein liebevolles Lösen, ein selbstbestimmtes und doch auch dem Gegenüber achtsames Kopfnicken und Verabschieden?
„Ich lasse dich gehen.“ „Ich verstehe dich.“ „Es ist gut so.“ „Es wird seinen Sinn haben.“
„Du darfst gehen.“ „Ich halte dich nicht auf.“ „Sei frei.“
Verständnis, Achtung, Zuversicht, Erkenntnis und Freiheit – diese Begriffe verbinde ich mit einem liebevollen Loslassen, das sowohl mir als auch dem Gegenüber neue Möglichkeiten und Wege eröffnet. Ich wünsche mir für mich, das zu schaffen und mein Leben so zu gestalten, dass ein solches Loslassen funktionieren kann – ohne hadern, zweifeln, klammern, zurückblicken, bereuen, verzweifeln und was ich nicht alles in Verbindung mit Abschieden jeglicher Art schon erlebt habe.
Abschiednehmen im achtsamen, selbstbestimmten Loslassen kann gelingen – selbst bei einem der schwersten Abschiede: den durch den Tod bestimmten Abschied. Stirbt ein liebgewonnener Mensch, oder stirbt eine Idee, ein Wunsch, eine schöne Erinnerung, ein Ziel … dann können der Schmerz und die Trauer über diesen Verlust mich lähmen und ängstigen. Ja, sie können sogar so weit führen, dass ich nicht mehr mag, die Lust an allem Schönen verliere, den Mut und die Zuversicht darin begrabe. Eine Reaktion, die allzu natürlich und menschlich ist. Sie mag uns zunächst auch vor unangenehmen Einflüssen von außen schützen (vor der fortlaufenden Zeit, der Ungeduld, der Hektik, fehlender Sensibilität, Unverständnis …), aber dann verwehrt sie mir den Blick auf jedwede Chance auf Versöhnung mit dem trauernden Ich, auf das Glück im Unglück und die Dankbarkeit in der Ausweglosigkeit. Will meinen: Schmerzen und Trauer haben ihre Berechtigung – bis zu einem gewissen Punkt. Danach darf mein Gemüt auch seine Sensoren wieder nach etwas anderem ausstrecken und zwar nach der Zuversicht und der inneren Gelassenheit, dass es richtig und gut ist loszulassen.
Das finde ich ganz wichtig! Wie oft gestehen wir uns in unserem Elend – welcher Art es auch immer sein mag – dieses hohe Gut der Versöhnung mit sich selbst und mit dem Unfrieden in sich nicht ein? Wie oft schlucken wir ein Lächeln, ein Fünkchen eines aufkommenden Glücksgefühls in unserem Abschiedsschmerz herunter und unterdrücken somit jegliches Gefühl, auf das wir ebenso ein Recht haben wie auf die Trauer?!
im Schmerz loslassen
Ich lerne gerade, dass es nur so funktionieren kann: ein Wechselspiel zwischen Abschiedsschmerz und Loslassen. Manchmal erlebe ich Momente, in denen diese beiden Emotionen miteinander eng umschlungen tanzen. Mal führt die eine, mal die andere. Beide sind vereint in ihrem Tanz um den Abschied herum. Sie wissen beide allzu gut, dass sie alleine ebenso tanzen könnten – wild, ausgelassen, ausdrucksstark. Die Kür aber, die Grazie, die Schönheit finden Sie nur gemeinsam heraus.
Ein Abschied voller Schmerzen, voll Bedauern und Trauer wird so getragen und geleitet von dem Loslassen, das Mut und Zuversicht und schließlich auch Freiheit schaffen kann. Und umgekehrt lasse ich nicht leichtfertig und unbedacht los, was mir ans Herz gewachsen ist, schier unzertrennlich mit mir verwoben war, sondern ich darf mir bewusst darüber werden, welch große Kraft und Wärme in dieser Verbindung steckte, von der ich mich nun zwangsläufig lösen muss.
Mit diesem Eingeständnis weitet sich mein Blick auf das, was war und schenkt mir das Gefühl von einer tiefen Dankbarkeit.
Loslassen und Abschiedsschmerz miteinander im Tanze um meine Trauer vereint. Sie begleiten mich, tragen mich und spinnen ein unsagbar schönes Band zwischen dem was war und dem was sein wird.