Auf einem Boot sitzend, über den Rhein schippernd hörte ich das erste Mal Worte aus Maja Lundes „Geschichte des Wassers“. Im Rahmen der lit.Colonge passte diese Art der Lesung fabelhaft zum Roman – und doch irgendwie auch so gar nicht… Das Bootsfahren, das ich an diesem Abend genoss, war Luxus – einfach so, weil es Spaß macht, hin und her über den Rhein fahren, dabei die Skyline von Köln bei Nacht betrachten, es wohlig warm haben und sich dessen kaum bewusst sein, auf welch hohem Gut wir uns dort fortbewegten. Dem Wasser. Ein hohes Gut – DAS Gut schlechthin!
… anders als der Klimabericht, dennoch als solcher zu lesen
Maja Lunde öffnet uns die Augen und lässt uns wieder mal erkennen, wie kostbar die Ressource Wasser ist. Wieder mal – denn wir wissen es ja, wir hören und lesen es so oft. Aber sind es nicht gerade diese großen, heftigen, Ohnmacht verursachenden Nachrichten, die wir am schnellsten versuchen zu verdrängen? Man kann also nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir umdenken müssen, dass wir erkennen müssen, dass wir endlich handeln müssen.
Maja Lunde rüttelt mich erneut wach. Aber eben anders als der Klimabericht, anders als eine Reportage über die Ressourcenknappheit auf dieser Welt, anders als jedes noch so gute Plakat, an dem ich dann doch wieder vorbeischlendere und nach einem kurzen Innehalten schon wieder von anderen Bildern, schöneren, beeinflusst werde. Lunde erzählt. Sie erzählt einfach. Sie erzählt mir Geschichten, bei denen ich nicht weghören kann, weil sie so unter die Haut gehen. Und sie gehen unter die Haut, weil ich merke, wie wahr sie sind, wie nah sie sind, wie sie mich, mein Umfeld, unser Land, uns alle betreffen, wie sie von vielen bereits ähnlich erlebt werden – noch weit genug von mir weg, aber wohlmöglich bald direkt vor meiner Haustür…
„Die Geschichte des Wassers“ macht ernst. Sie zeigt auf, wie unser „blaue“ Planet sich mehr und mehr in einen vertrockneten Erdball verwandelt, auf dem Wasser immer knapper wird, auf dem Wachstum, Gedeihen und Leben erschwert ist. Sie zeigt auf, wie weit unser Verschwenden wichtiger Ressourcen schon zurück geht, wie es in uns seine Wurzeln hat, wie Unbedachtheit, Egoismus und die Gier nach Mehr Schritt für Schritt ein Teil des großen Ganzen werden, das uns eins der wichtigsten Güter nimmt – das Wasser.
Signe und David
Maja Lunde erzählt von zwei unmittelbar vom Klimawandel Betroffenen.
Singe, Umweltaktivistin, die gegen das gewissenlose Abtragen von Eis am norwegischen Gletscher ankämpft. Die fast ihr ganzes Leben lang versucht, den Familien ihres Dorfes, ihrer Mutter, ihrem Liebhaber Magnus die Augen zu öffnen, aufzuzeigen, dass dieser Eingriff in die Natur weitreichendere Folgen hat, als den schwindend geringen wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Heimat. Sie macht sich 2017 im hohen Alter noch auf eine lange Reise mit ihrem Schiff „Blau“ vom Norden in den Süden, an Bord eine Ware, mit der sie hofft, ihrem geliebten und doch einst verlorenen Magnus ein letztes Mal die Augen zu öffnen. Während Signe über die Meere fährt, tauchen wir ein in ihre Geschichte – eine Lebensgeschichte voller Leidenschaft, Kampfgeist, Trennung, Kapitulation, Mut und Zielstrebigkeit.
Und die Geschichte von David, Familienvater, der 2041 zusammen mit seiner Tochter Lou das für uns heute noch Undenkbare erlebt: David ist auf der Flucht. Ein sog. Klimaflüchtling, auf dem Weg von der französischen Mittelmeerküste Richtung Norden – weg von einer Gegend, in der das Trinkwasser so knapp geworden ist, dass die Menschen ihre Heimat verlassen müssen und darauf hoffen, dass es in weniger heißen Regionen Europas weiter nördlich noch mehr Wasser gibt, das sie und ihre Familien am Leben erhält. David erfährt schmerzlich, wie seine kleine Familie getrennt wird und findet in einem Flüchtlingscamp in Frankreichs Landesinneren Unterschlupf. Doch tagtäglich sind er, die kleine Lou und all die anderen Geflüchteten mit den massiven Auswirkungen der Dürre, der Wasser-Knappheit, der fehlenden lebensnotwendigen Mittel und der Angst ums Überleben konfrontiert. Wie aus dieser schier ausweglosen Situation ausbrechen? Wie weiterkommen? Wie diesem Elend ein Ende bereiten? Lou und David finden einen Ort auf dieser Reise zum Wasser, an dem ihre Sehnsucht, die Lebenslust, die Angst und ihre Hoffnung Platz und Raum finden können. Wie Signe auf ihrem Boot kommt auch David hier an den Punkt, sein Leben nochmal ganz neu zu betrachten und zu erkennen, in welche Lage ihn seine Geschichten rund ums Wasser gebracht haben.
… von der Ohnmacht und einer neuen Macht, doch noch zur Veränderung beitragen zu können
Maja Lunde bietet keine Lösungsvorschläge an. Dennoch schafft sie es, unseren Blick erneut auf die bereits formulierten und bis ins Detail durchdachten Lösungsvorschläge zu richten. Ich konnte kaum von Signe und David lesen, ohne dabei an all die Ideen zu denken, die wir Menschen nutzen könnten, um diesen Wahnsinn aufzuhalten. Manchmal jedoch machten mich die Erzählungen aber auch sehr müde – müde und hoffnungslos, ja beinahe ängstlich, denn man fühlt sich so machtlos gegenüber all diesen Einflüssen, den politischen Entscheidungen, den wirtschaftlichen Interessen, den Korruptionen, den umweltzerstörenden Entscheidungen. Vermutlich ist es genau das, was Maja Lunde zum Schreiben bewegt – ein Versuch, die eigene Ohnmacht in Wissen, Erkenntnis und Macht umzuwandeln. Ein Schritt, der ihr gelungen ist, denn der Erfolg, den sie mit ihren Büchern hat, kommt nicht von ungefähr. Sie erreicht offenbar genau die, die diesen Kampf mit sich, ihrer Umwelt, der Natur und ihrer Geschichte austragen und ihre Vorstellung von einem achtsamen, ressourcenerhaltenden und nachhaltigen Umgang mit der Natur trotz ihrer Ohnmacht nicht aufgeben wollen. Und das sind viele – ein Glück! Ein Muss für jeden – denn es geht uns alle gleichermaßen an!
Maja Lunde: Die Geschichte des Wassers, Verlagsgruppe Random House GmbH 2017
ISBN: 978-3-442-5774-9
1 Kommentar
Von ganzem Herzen ein Dankeschön für diesen Juwel! Um Die Schönheit des Lebens für mich zu definieren , für Körper Geist und Sinn, bin ich wieder einen Schritt durch dieses Buch weitergekommen! Die Lautlosigkeit in uns wird immer ein Mysterium bleiben!!!! Diesem Mysrerium die Türe zu öffnen…………. Danke Erling Kagge